Bessere Opferhilfe und -entschädigung in Sachsen-Anhalt

»Vertrauen in den Rechtsstaat muss hauptsächlich durch den Schutz von Opfern, aber auch durch eine intensive TäterInnenarbeit hergestellt werden. Nur ein solches Herangehen kann zu einem effektiven Opferschutz führen. So prüft DIE LINKE. Sachsen-Anhalt die Einrichtung einer Opferhilfestiftung, um schnell und möglichst ohne Barrieren in Notsituationen Hilfe zu leisten. Bestehende Hilfemechanismen müssen dringend hinsichtlich ihrer Wirksamkeit überprüft werden.«

Dies ist eine Textpassage aus dem Wahlprogramm meiner Partei zu Landtagswahl 2016 und wir wollen dieses Versprechen heute mit unserer parlamentarischen Initiative einlösen. Im Fokus stehen heute die Rechte und die Unterstützung von Opfern von Kriminalität.

 

Sehr geehrte KollegInnen der Koalitionsfraktionen,

aber nicht nur in unserem Wahlprogramm findet man eine entsprechende Forderung mit dem Ziel der Verbesserung und Effektivierung von Opferschutz und Opferhilfe.

Nein, auch der Koalitionsvertrag von CDU, SPD und BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN enthält eine entsprechende Passage. Und für jene unter Ihnen, die nicht jede einzelne Vereinbarung aus dem Koalitionsvertrag parat haben, haben wir es leicht gemacht und die entsprechende Formulierung in die Begründung unseres Antrages hineinformuliert. Wir sollten unsere klugen Ideen zusammentun und für Opfer von Kriminalität bessere Hilfen und Unterstützung gemeinsam und vor allem zügig realisieren!

Wir haben in dieser Wahlperiode bereits einige Male über die Situation von Opfern gesprochen, bspw. bei der Debatte zur Situation von Frauen und Kindern in Frauenschutzhäusern oder der Debatte um die Zukunft der Rechtsmedizin, die einen wesentlichen Beitrag mit ihrer Arbeit in den Opferambulanzen leistet. Natürlich war und ist auch die Debatte um die Personalsituation in der Justiz in Sachsen-Anhalt ein wichtiger Baustein bei der Wahrung der Rechte von Opfern, aber eben auch bei der Wahrung von Vertrauen in den Rechtsstaat.

Einige von Ihnen erinnern sich vielleicht auch noch daran, dass wir hier in diesem Hause bereits über die Einrichtung einer Opferhilfestiftung debattiert haben. Damals auf Antrag der in der Opposition befindlichen FDP-Fraktion. Dies war bereits in der 5. Wahlperiode und es waren vor allem fiskalische Gründe, die eine Einrichtung damals verhinderten.

Das Zeitalter der „Schwarzen Null“ war keine gute Zeit für die Interessenvertretung von Opfern von Kriminalität.

Doch, meine Damen und Herren, dies war kurzsichtig und politisch unklug!

Gerade in einer Zeit, in der die soziale Spaltung einer Gesellschaft zu einem Vertrauensverlust in Politik, Demokratie und Rechtsstaat führen, müssen uns die Interessen von Menschen, die unsere Hilfe brauchen, besonders wichtig sein! Und wir müssen im Besonderen dafür Sorge trage, dass niemand durch das oft grobmaschige soziale Netz fällt…

Werden schwerwiegende Straftaten und deren Folgen öffentlich diskutiert, ist nicht selten zu hören, dass „Täterschutz vor Opferschutz geht und dass sich mit der Schuld des Täters mehr beschäftigt wird als mit dem Opfer und seiner Situation.“

Mir liegt es fern, die Rechte von Tätern einzuschränken oder gar gegen den Resozialisierungsgedanken, der dem Strafvollzugsgesetzbuch innewohnt, zu reden. Im Gegenteil: ich vertrete die Ansicht, dass gute Arbeit mit Tätern ein wesentlicher Beitrag zum Opferschutz ist. Zudem müssen wir auch konstatieren, dass in Sachen Opferschutz in den letzten Jahrzehnten viel geschehen ist.

Seit 1976 gibt es das Opferentschädigungsgesetz, seit 1986 die Möglichkeit der Zulassung der Nebenklage. Es gibt seit 1998 den Opferanwalt auf Staatskosten; 2004 wurden die Informationsrechte von Opfer erweitert; 2017 wurde die psychosoziale Prozessbegleitung eingeführt und wir stehen (hoffentlich) kurz vor einer Reform des Opferentschädigungsrechtes, das im Rahmen der parlamentarischen Beratungen noch Verbesserung finde sollte. Das ist nicht wenig, um Rechte und Interessen von Opfern schwerer Kriminalität zu wahren.

Doch im konkreten kann es eben doch sein, dass Menschen durchs Netz fallen und damit zum zweiten Mal zum Opfer und ggf. zum zweiten Mal traumatisiert werden.

Ein erster - immer wieder zu hörender - Kritikpunkt ist die Dauer der Verfahren. Damit ist der Strafprozess, aber auch das Verfahren über Entschädigungsleistungen gemeint. Für letztere Verfahren wäre übrigens eine gesetzlich fixierte Frist denkbar.

Gleich nach der Verfahrensdauer kommt die Kritik an den hohen Hürden, die genommen werden müssen, um überhaupt Anspruch auf eine Opferentschädigung zu haben. Hier seien zwei Beispiele genannt: Wer den Täter nicht rechtzeitig anzeigt - häufig im Fall von häuslicher Gewalt - gefährdet seinen Anspruch. Wer sich vorhalten muss, sich selbst in Gefahr begeben zu haben, riskiert ebenfalls den Entschädigungsanspruch. Auch hier kommen nicht selten Fälle häuslicher Gewalt in Frage. Das ist meines Erachtens ein klarer Widerspruch zum Leitgedanken der Istanbul Konvention.

Zudem bestehen zuweilen Bedenken bzgl. der Qualifikation der Gutachter. Im Zweifel wäre hier tatsächlich eine Clearingstelle eine sinnvolle Institution. Dies ist schon deshalb sinnvoll, weil auch mit der geplanten Reform auf Bundesebene der Nachweis der Tat und der Schädigungsfolgen nicht erleichtert wird.

Ich möchte noch einmal auf den Phänomenbereich „Häusliche Gewalt“ zurückkommen: bei Ersttätern werden Opfern häufig auf den PRIVATKLAGEWEG verwiesen und das Ermittlungsverfahren eingestellt! Das signalisiert: du musst dich um dein Problem alleine kümmern. Ein öffentlich relevantes Problem ist dein Problem nicht. Das ist ein Signal mit fatalen Wirkungen bei den Opfern – gerade beim ersten Mal!

Es ist ein wesentliches Moment des Opferschutzes, dass verlässlicher Schutz früh angeboten und auch tatsächlich umgesetzt wird.

 

Opferhilfefonds

Meine Ausführungen zeigen - bei allem Reformwillen - es gibt Lücken im System und es gibt Opfer von Kriminalität, die erleben, dass sie der Staat allein lässt. Das kann im Einzelfall für Opfer und ihre Angehörigen dramatisch sein und es erschüttert Vertrauen in den Rechtsstaat. Deshalb ist es unserer Fraktion ein besonderes Bedürfnis, unser Wahlkampfversprechen umzusetzen und es ist gut, dass sich auch die Koalitionsfraktionen auf diesen Weg machen. Lassen Sie uns dieses so wichtige Instrument gemeinsam ins Leben rufen.

 

Finanzierung

Herr Fricke von der Volksstimme hat in seinem Kommentar am Montag richtigerweise festgestellt, dass es dabei noch einige Hausaufgaben zu erledigen gibt. Das ist korrekt.

Auch unser Antrag hat noch nicht alle Antworten auf die Fragen, die es in der Umsetzung zu beantworten gilt. So ist eine wesentliche Frage, woher das Geld für den Opferhilfefonds herkommen soll.

Die Koalitionsvereinbarung hat hier eine Idee, die wir gern aufgegriffen haben, die aber eben auch nicht ganz ohne Hürden ist. Wir sehen in den Geldbeträgen gemäß § 153a StPO eine Finanzierungsquelle. Zu klären ist, wie dies rechtlich umsetzbar ist, ohne in die richterliche Unabhängigkeit einzugreifen.

Korrekt ist auch, dass von den insgesamt ca. 4,5 Millionen Euro, die jährlich auf diese Weise an Vereine und Verbände fließen, bei diesen dann letztendlich finanzielle Lücken entstehen.

Doch auch jetzt ist es schon so, dass keiner von diesen fest mit diesem Geld rechnen kann, und die Antwort der Landesregierung auf meine Kleine Anfrage hat auch gezeigt, dass vor allem große Stiftungen und Verbände außerhalb von Sachsen-Anhalt von diesen Geldern profitieren. Meines Erachtens ist es an der Zeit, eine befristete Lösung zu finden, um Kriminalitätsopfern in Sachsen-Anhalt konkret zu helfen.

Lassen Sie uns hierfür gemeinsam die beste Lösung finden!

 

Opferhilfebeauftragte/er

Nun konnte ich der Volksstimme entnehmen, dass es bereits Überlegungen gibt, wie die Mittel eines Opferhilfefonds ausgereicht werden können. Lassen Sie uns auch hier zunächst im Ausschuss analysieren, wie Opfer von Kriminalität derzeit betreut werden und wer hierfür die geeignetste Stelle wäre.

Unsere Fraktion schlägt für die Debatte die Installierung einer/s Opferhilfebeauftragten vor. Gern auch am Oberlandesgericht angesiedelt, um auch die Akzeptanz in der Richterschaft zu erhöhen. Die Institution der oder des Opferhilfebeauftragten ist in Deutschland bisher nicht etabliert.

Wenn wir an Opferhilfe denken, fallen uns der Weiße Ring, die Mobile Opferberatung für Opfer rechter Gewalt und Frauenberatungsstellen, Interventionsstellen bzw. Frauenschutzhäuser ein. Doch ein Blick über den Tellerrand lohnt!

Es gibt verschiedene Modelle in den Ländern. Opferschutzbeauftragte bei der Polizei, bei der Justiz oder unabhängige Opferschutzbeauftragte. Schauen Sie nach Nordrhein-Westfalen! Dieses Land hat seit 2017 eine Opferhilfebeauftragte, unabhängig und organisatorisch am Justizministerium angegliedert. Ein Blick in den ersten Jahresbericht über die eigene Arbeit lohnt.

Von einer telefonischen Hotline, über schriftliche Kontaktaufnahmen bis zu persönlichen Gesprächen und Vermittlung von psychosozialer Prozessbegleitung ist alles möglich. Darüber hinaus wird die Beauftragte in Einzelfällen proaktiv tätig und informiert über sämtliche den Opfern zur Verfügung stehenden Rechte. Wichtigste Botschaft: die Beauftragte ist verlässliche Ansprechpartnerin für alle Opfer von Kriminalität. Die Darstellung der individuellen Tätigkeit ist beeindruckend und sie wirkt.

Zudem vernetzt die Beauftragte sämtliche im Land in der Opferarbeit tätigen Institutionen. Diese Vernetzung ist für Opfer von nicht unwesentlicher Bedeutung. Sie erleichtert erheblich den Zugang zu Hilfeleistungen. Außerdem werden so sogenannten „weiße Flecken“ aufgedeckt. Lassen Sie uns bitte diese Möglichkeit diskutieren.

 

Berichterstattung

Wir fordern die Landesregierung schlussendlich auf, in den zuständigen Ausschüssen: im Ausschuss für Arbeit, Soziales und Integration und im Ausschuss für Recht, Verfassung und Gleichstellung Bericht über ihre Aktivitäten zu erstatten.

 

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!